Ich verbringe schon viele Jahre mit meiner Brust. Sie ist ziemlich frühzeitig entstanden, führte im Schwimmunterricht oftmals zu verwirrten Blicken und blöden Sprüchen, brachte mich selbst sehr schnell in Verlegenheit und eigentlich störte sie auch ziemlich oft. Heute noch bleibt mir beim Essen, Kochen oder Backen immer mal wieder was daran hängen. Versteht mich nicht falsch, ich hab kein Problem mit meiner Brust, im Gegenteil. Nur besonders praktisch fand ich sie nie. Wenn ich sie mal in Szene setzen konnte, dann fand ich sie auch ganz nett und ich behaupte, dass sie ebenso einen maßgeblichen Anteil daran hat, dass mein Mann sich in mich verliebt hat. Also, meine Brust und ich, wir sind Kumpels. Aber was ich mit ihr anstellen sollte, das war mir nie so richtig klar. Sie war halt da, hing da so ab, lief immer mit und fing die Krümel vom Brot ab. Ihr volles Potenzial lernte ich jedoch erst viel später kennen – beim Stillen meiner Kinder.
Erfahrung und Magie
„Ich trage das direkt hier in Ihre Akte ein, dass Sie eine erfahrene Stillmutter sind!“ – Das ging runter wie Öl. Die Krankenschwester der Wöchnerinnenstation stand in meinem Zimmer und schaute mal, wie das so lief, bei D-Von und mir. Es war der Tag nach seiner Geburt, eine Geburt, die sehr anstrengend und schmerzhaft war, ganz im Gegenteil zu der seines großen Bruders, 19 Monate zuvor. Doch trotz alledem war ich viel fitter und entspannter als nach der ersten Entbindung und spürte eine echte Gelassenheit in mir, die sich fast anfühlte, als würde ich das alles gerade als selbstverständlich hinnehmen. Doch so war es nicht.
Ich nehme es nicht als selbstverständlich hin, zwei wunderbare Geburten hinter mir zu haben. Zwei wunderbare, völlig normal entwickelte, kerngesunde Kinder zu haben. Oder zweimal mit Beleghebamme geboren haben zu dürfen, die meine Wünsche respektierten, mir Zeit ließen und den Weg unserer Geburten so gingen, wie wir ihn gehen wollten. Das ist – gerade in unserer heutigen Zeit einer katastrophalen Geburtenkultur – absolut nicht selbstverständlich. Nein, das war es nicht. Es war kein Gefühl von Selbstverständlichkeit, nicht so, dass ich mich weniger freute oder weniger Zauber spürte. Es war auch nicht weniger magisch. Nein, es war einfach anders. Erfahrener.

Stillen in der Trage, im Laufen, sitzen, stehen… mit ein bisschen Erfahrung und Übung geht alles
Beim ersten Mal: Anspannung statt Entspannung
Ich blickte zum Zeitpunkt der Geburt meines Minis auf eine 16-monatige Stillbeziehung zu Bubba Ray zurück, die ein trauriges, jähes Ende fand. Im 4. Schwangerschaftsmonat produzierte ich nicht mehr genügend Milch und Bubba Ray war nicht mehr ambitioniert genug, diese zu steigern. Fortan wurde aus dem Stillen nur noch ein unangenehmes Nuckeln, für beide Seiten. Für ihn, weil einfach nichts mehr kam und für mich, weil er oft an- und wieder abdockte, weinte und ich den totalen Stress hatte. Ich konnte ihn ja nicht zwingen, wieder alle vier Stunden zu stillen, um die Produktion aufrecht zu halten. Zum Pumpen fehlte mir die Zeit und da war ja auch noch diese andauernde Übelkeit der Hyperemesis Gravidarum, die ich zwar mittlerweile durch Medikamente kontrollieren, aber dennoch nicht ganz loswerden konnte.
Das Ende einer Beziehung
Nach einem Gespräch mit einer Stillberaterin entschied ich, es zu lassen. Damals klang das nach einem Plan, der aufging. Bubba Ray’s Laune besserte sich, als wir am Abend nach dem Abendessen von Brust auf ein Ritual, das Kuscheln und Mandelmilch aus Becher oder Flasche einschloss, umstiegen. Irgendwie fühlte sich das erst einmal befreit an. Doch schon bald verstand er, dass die Mandelmilch am Abend ein Ersatz war, ein „stattdessen“. Es folgten Monate, in denen wir ein neues Ritual suchten, das auch nur ansatzweise an das Einschlafstillen heran kam. Eines, das ihn auch nachts beruhigte und ihm nicht das Gefühl gab, man habe ihm etwas weggenommen.
Auch wenn ich mich mit dem Gedanken, mein Körper müsse sich nun nur noch um ein Kind kümmern, gut anfreunden konnte, bereute ich den Schritt. Er hatte mehr Traurigkeit und Unruhe, als Besserung gebracht. Doch wie ich es auch drehte und wendete: ich spürte – und so ehrlich muss ich sein – dass ich keine Lust mehr hatte. Mein Sohn war abgestillt, daran war nichts zu rütteln. Ich wollte nicht mehr und hatte das Ende vermutlich so selbst herauf beschworen.
Doch als wir endgültig nicht mehr stillten, vermisste ich es. Wieder damit anzufangen war jedoch keine Option. Es gab nicht genug Milch, ich wollte kein Nuckeln. Doch es fehlte mir. Es fehlte mir abends, nachts, beim ersten Fieberinfekt, beim nächsten Kopfstoßen und vor allem fehlte es mir beim Zahnen. Es fehlten die extra Antikörper und so wurden wir beide dauernd krank.
Eine zweite Chance
Nach seiner Geburt legte ich D-Von an. Er trank, als hätte er nie etwas anderes getan und als gäbe es nichts selbstverständlicheres auf der Welt. Die anfänglichen Startschwierigkeiten, die ich bei Bubba Ray hatte, gab es dieses Mal nicht. Ich achtete nicht auf die Uhr, ließ ihn tagelang clustern und stillte im Liegen, Sitzen, Stehen, draußen, drinnen, zuhause, in der Öffentlichkeit, in der Trage, auf dem Spielplatz, im Auto – einfach wann immer er es brauchte. Darüber führte ich kein Protokoll und kein Tagebuch, zählte keine Windeln, achtete nicht darauf, wie häufig er Stuhl hatte oder wie lang die Stillpausen waren. Ich wog ihn nie, bzw. nur bei den U’s. Ich weckte ihn nie zum Stillen und ließ ihn von Anfang an im Familienbett direkt an meiner Seite und Brust schlafen. Es funktionierte einwandfrei, schmerzfrei und ohne Stress. Heute bin ich überzeugt: hätte ich damals eine wirklich gute Beziehung zu meiner Brust gehabt, dann würde ich Bubba Ray vielleicht noch stillen und es hätte viele schwere Situationen für uns viel einfacher gemacht.
Das gesellschaftliche Bild einer stillenden Mutter
So sehr ich das Stillen auch von Anfang an liebte, so sehr sah ich auch das erschrockene Gesicht einer Gesellschaft, für die laufende, sprechende Kinder an den Familientisch, aber nicht mehr an die Brust gehörten. Bubba Ray wurde ja immer größer und älter und ich konnte es nicht ablegen – obwohl ich es versuchte. Doch während ich stillte und um alle Vorteile für das langzeitgestillte Kind genau wusste, war es mir peinlich. Ich suchte eher abgeschiedene, private Räume auf, um meinem ersten Sohn die Brust anzubieten.
19 Monate später, nach D-Von’s Geburt, war alles anders. Plötzlich machten mir Zuschauer nichts mehr aus. Ich störte mich nicht an wässrigen Flecken auf den T-Shirts. Ich hatte das Ideal der superschicken Mutter, der man den Stress und die Anstrengung nicht anmerkt und deren Brust ausschließlich Objekt der Begierde für ihren Ehemann oder ihren Freund ist, irgendwann entlang der Strecke abgelegt.
Der Tag an dem ich meine Brust entdeckte
Ich fand meine Brust plötzlich unglaublich praktisch, denn die wusste von allen Beteiligten als Einzige und Erste wirklich, was sie zu tun hatte. Sie hatte immer die richtige Menge in der genau richtigen Temperatur. Produzierte und arbeitete geschäftig ohne sich zu beschweren. Ließ sich von Stress, Anstrengung, Geschrei und schlaflosen Nächten genau so wenig beeindrucken wie von zu wenig essen und zu wenig trinken. Von allen Dingen, die – vor allem in den ersten 3 Monaten – Stress und Kopfzerbrechen bereiteten, war das Stillen das einzige, was völlig unproblematisch und ja, fast selbstverständlich ablief.
Ich genoss das Stillen auch deshalb so sehr, denn es waren Ruhepausen, in denen meine Kinder selig waren, und zwar alle beide. Meine innere Ruhe, meine Gelassenheit und meine Dankbarkeit für eine Brust, die so geradewegs ihren Weg ging, steckte uns alle an. Mein Mann genoss die Zeiten mit seinen Jungs, beschwerte sich aber immer über das Aufwärmen der abgepumpten Milch. Das sei unpraktisch und dauerte zu lang. Die Brust sei der entscheidende Vorteil, sagte er mir. Und plötzlich sah ich diese Brust mit anderen Augen. Ich hatte ihr Talent entdeckt. Ihre wahre Bestimmung.

Stillen oder: die wahre Bestimmung meiner Brust
Stillen glorifizieren? Nein, danke!
Ich meine ernsthaft Leute – Sexobjekt? Ja, an zweiter Stelle. In erster Linie produziert das Ding hier gerade Nahrung und Nähe. Und das kann diese Brust noch besser als alles andere. Ich bin wahnsinnig dankbar, denn ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist und dass es sie wirklich gibt: Frauen, die nicht stillen können und die aber häufig darunter leiden. Ich hasse es, wenn Stillen glorifiziert wird. Ich liebe es, es ist mein Herzthema und dieses Mal, das steht fest, wird es kein herbeigezaubertes Stillende geben. Doch es ist nicht das Allheilmittel.
Das Stillen zu glorifizieren macht nur Probleme! Denn es gibt Frauen, die nicht können das Gefühl, zu doof zu sein – was einfach nicht stimmt. Es gibt Frauen, die es tun, das Gefühl, automatisch die bessere Mutter zu sein – was einfach nicht stimmt. Und es gibt Frauen, die nicht wollen, das Gefühl, egoistisch zu sein – was nicht stimmt.
Stillen ist wundervoll, gibt deinem Kind ein unvergleichliches Gefühl der Geborgenheit, ist praktisch und gesund – eben die beste Nahrung. That’s it. Dass dein Kind seinen Schulabschluss schafft oder dich noch ein paar mal im Monat besucht wenn es erwachsen ist, das garantiert es dir nicht. Dafür musst du als Mutter sorgen.
Die wahre Bestimmung der Brust
Und wer seine Brust bisher noch nicht so gut kannte, wie ich, oder vielleicht sogar davon ausgeht, die beiden seien nur dazu da, dem Mann oder der Frau zu gefallen, dem kann ich nur vorschlagen, seinen Blick zu schärfen. Die Dinger da unterhalb eures Kinns, die können wirklich viel mehr, ja, sie sind vielleicht die verborgenen Talente, die erst so richtig zum Vorschein kommen, wenn sie eure Kinder immer zur richtigen Zeit versorgen können. Es gibt einem das Gefühl, ein Superheld zu sein und das ist auch gut so.
Und das Beste: unabhängig davon verlieren sie niemals die anderen Zwecke! Sie können weiterhin euch und euren Partner oder eure Partnerin erfreuen, sie können weiterhin hübsch aussehen und ein wichtiges Organ sein.
Und die Brötchenkrümel abfangen, natürlich. Das können sie auch ziemlich gut.
Dieser Artikel erschien auch auf stillkinder.de und bei Susanne Mierau, die Werbung für das Stillen macht.
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