Kennst du das auch? Diese Coaching-Blogs und Vlogs, die jeden ihrer Artikel oder Videos mit „Kennst du das auch?“ beginnen? Dann bringen sie ein Beispiel, das sie ganz doll mit dem Leser oder Zuschauer verbinden soll und teasen dann die Lösung, die sie parat haben, wenn du ihren Beiträgen folgst.
So einer wird das hier nicht. Zumindest nicht ganz.
Mich nervt ja die gutgelaunte „Attitude“, die dabei so häufig mitschwingt. „Du musst einfach nur meditieren und dann wird dein Leben so viel besser!“ Oder:
„Nimm einfach an meiner 489 Tage Challenge Teil und dein Leben wird sich verändern!“ Oder: „Willst du langfristig glücklich werden? Dann registriere dich jetzt für meinen Newsletter und du kriegst so viele Emails, dass dir schwindelig wird und du sie spätestens übernächste Woche wieder abbestellst aber hey – dein Leben wird garantiert besser.“
Ein kleines bisschen fühlen sich derartige Aufrufe an wie: „Mensch du musst doch dein Baby einfach nur stillen, tragen und bei euch schlafen lassen, dann schreit es auch GARANTIERT nie!“ Oder: „Entspann‘ dich doch einfach, dann entspannt sich dein Baby auch!“ In diesem Vergleich wäre das Baby das Leben, das automatisch besser würde und wir – tja, wir wären immer noch wir.
Der Mensch ist lernfähig, tatsächlich tut er in seinem gesamten Leben nichts so viel und mit einer solchen Intensität wie Lernen. Er lernt neues, lernt dazu, lernt um, denkt um, verbessert, verändert, bewegt sich. Darum gibt es diese millionenfachen Coaching-Blogs, Ratgeber und Vlogs. Weil der Mensch etwas lernen will. Das ist auch gut so. Ich will ja auch gar nicht lästern. Nur werde ich halt nie so jemand sein und mein Blog auch nicht.
Dachte ich zumindest.
„Bei dir ist doch eh immer alles so perfekt. Ich weiß gar nicht, wie du das angeblich schaffst. Komischerweise kannst du deine Kinder nicht erziehen und sie essen trotzdem nicht den ganzen Tag nur Schokolade oder gucken fernsehen. Wenn ich das so machen würde? Pustekuchen.
Und bei dir ist auch immer irgendwie alles so schön. Zumindest wirkt es so. Als gäbe es nie Streit. Als wäre eben alles immer rosig.“
Als ich diese Worte zum ersten Mal hörte, war ich fast geschockt. Ich hatte nie, zu keinem Zeitpunkt, darüber nachgedacht, meine Texte zu veröffentlichen um irgendwem zu signalisieren: Guck mal hier. So wird das gemacht. Mrs. Supermutti zeigt dir den Weg. Klick dich einfach rein und erfahre, wie du in nur 98 Schritten eine Öko-Hippie-Rabenmutter wirst. Oder so. Wie war dieser Eindruck entstanden?
Ich hatte schließlich Texte veröffentlicht, in denen ich von meiner Erschöpfung sprach. Von meinem Versagen beim Versuch, auf Erziehung zu verzichten. Von meiner Hochsensibilität und der damit verbundenen häufig auftretenden Überforderung. Nichts war hier je perfekt. Gar nix.
Aber ich sah auch die Artikel über meine Kinder, las sie aus einem anderen Blickwinkel. Las sehr viel Stolz, sehr viel Verständnis und sehr viel Liebe. Und all diese Gefühle, die leben tatsächlich dort in meiner Brust, in meiner Welt. Erschöpfung, Müdigkeit, Chaos auf der einen, Liebe, Liebe, Liebe auf der anderen Seite. Aber eine Seite hatte ganz klar – auch auf dem Blog – gewonnen.
Doch der Punkt ist der: ich räume genauso 20 Mal am Tag auf wie ihr alle und ich schimpfe dabei auch genauso genervt vor mich hin, wie ihr alle.
Ich bin völlig angekotzt von zu schweren Einkaufstüten, langen Fußwegen und Matschwetter. Ich drehe durch, wenn die Kinder sich zum Mittagsschlaf immer wieder ständig gegenseitig wecken, mir die Schränke ausräumen und zur Mittagszeit mein Wohnzimmer aussieht wie Monkey Town. Ich meckere. Und dann atme ich. Und besinne ich mich wieder auf das, was für mich zählt.
Glücklich sein.
Ich bin nicht besser als irgendjemand anders und mein Leben ist nicht perfekt. Und diesen Zustand, den werden wir nie erreichen, denn das ist überhaupt nicht mein Anspruch. Die Erwartung an mein Leben mit meiner Familie schließt Perfektion aus. Und vorm Verrücktwerden und Versinken im Chaos schützt mich bisweilen nur diese eine Sache: meine positive Grundeinstellung. Mein Glaube daran, dass auch meine Kinder einfach nur glücklich sein und mich nicht absichtlich in den Wahnsinn treiben wollen. Mein Verständnis für ihr sehr-klein-sein. Mein Blick hinter ihre Provokation. Und vielleicht auch meine – übrigens jahrelang antrainierte – Fähigkeit, meine Bedürfnisse zu äußern, ohne egoistisch zu sein und mittlerweile sogar ohne schlechtes Gewissen.
Vielleicht mag all das dazu führen, dass das Bild, dass ihr da draußen von mir und meiner Familie habt, irgendwie so aussieht, als wäre hier alles rosig und perfekt – doch das ist es nicht.
Ich verschweige euch nichts, nicht bewusst. Ich klammere nicht bestimmte Themen aus irgendwelchen Gründen aus. Ich lasse aber die negativen Dinge nicht zu groß werden. Ich nehme meine guten Gedanken, meine guten Gefühle und mache die ganz groß. Lasse die groß rauskommen. Gebe denen hier eine Bühne.
Ich brauche keine Coaching-Blogs und Motivationsvideos mehr, weil ich mich nicht mehr motivieren muss. Es ist ein Kompliment, dass mir die Welt macht, wenn sie denkt, es sei hier perfekt, denn das heißt letztendlich nur, dass ich das, was ich hier empfinde, offensichtlich in meine Texte transportieren kann.
Das ist nicht Perfektion. Das ist nicht die totale Selbsterfüllung. Nein, das ist einfach Glücklich sein.
Akzeptieren, dass die Wohnung aussieht wie ein Schlachtfeld, dass die eigene Belastbarkeit Grenzen hat, das Aufstellen eines Netzes aus Helfern und: das bewusste Hervorheben all der kleinen und großen wunderbaren Dinge im Alltag mit meinen Kindern. Die nicht weniger anstrengend aber auch nicht viel mehr anstrengend sind, als alle anderen Kinder auf der Welt.
Wenn ich nun also einer dieser „Kennst du das auch?“-Coaching-Blogs wäre, dann würde ich in einem Ein-Schritt-Programm zum perfekten Leben vermutlich nur raten, es zu vergessen. Einfach den Gedanken daran, los zu lassen. Perfektion ist nicht wichtig. Kein erstrebenswerter Zustand. Nein, im Gegenteil. Sie schränkt dich ein. Macht dich traurig bei der kleinsten Unebenheit.
Let it go. Du brauchst keine Perfektion. Du brauchst glücklich sein.
Also sei es.
Oder: Versuch es zumindest. Und fang am besten direkt damit an.
2 Antworten
Danke, Danke, Danke. Auch wenn du es nicht sein willst, du bist ein toller Motivations-Coach 😀
LG Ella
<3