„Dachte ich’s mir doch, dass du das abkannst, wenn Klartext gesprochen wird!“, schrieb mir die Rubbelmama Hanna, als ich mich für ihren wahnsinnig tollen Gastartikel bedankte. Denn gerade beim Thema Essen bin ich, ganz diskussionslos der festen Überzeugung, dass es nichts mit Erziehung zu tun hat. Und die liebe Hanna sieht das ganz genau so. Auf ihrer noch jungen Website Baby Led Weaning hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Eltern über das Thema zu informieren und zu beraten. Und zwar mit Rezepten, Empfehlungen zu Literatur und Artikeln, wie diesem hier.
Vorhang auf für Hanna
„Warum Essen ohne Druck und Zwang so wichtig ist“
Stell dir vor, Du sitzt mit deinem Partner beim Abendessen. Ihr seid bei eurem Lieblingsitaliener. Der mit der freundlichen Bedienung, die Du so magst. Du sagst, Du möchtest Pizza alla Chef. Deine Lieblingspizza, die Du jedes Mal isst. Als die Bedienung kommt, bestellt er Dir aber einen Griechischen Salat. Weil der viel gesünder ist und mehr Nährstoffe enthält. Als euer Essen kommt, und Du wenigstens ein Stück von seiner Pizza probieren möchtest, haut er Dir auf die Finger und sagt „Nanana, das ist nur für Männer.“ Dafür erinnert er Dich fast minütlich, aufrecht zu sitzen und die Ellbogen vom Tisch zu nehmen. Der Salat schmeckt Dir nicht. Vor allem Tomaten mochtest Du noch nie und lässt sie deshalb liegen. „Na komm schon, Tomaten sind wirklich gesund. Probier‘ doch wenigstens Mal!“ Mit zwei großen Tomatenscheiben fuchtelt er Dir vor dem Mund herum und versucht sie, gegen Deinen Willen hineinzustecken. „Iss doch wenigstens den Teller leer, immerhin bezahlen wir für das Essen. Du bist echt so unmöglich. Nachtisch bekommst Du so nicht!“
Wie würdest Du reagieren? Lächeln und aufessen? Später harmonisch mit ihm auf der Couch liegen? Wahrscheinlich eher nicht, oder? Vermutlich wärst Du schon bei der Bestellung empört aufgesprungen und spätestens bei den permanenten Ermahnungen an die Decke gegangen?
Und nun stell Dir vor, du wärst 3 Jahre alt und dein Gegenüber wäre dein Papa. Wäre die Situation dadurch plötzlich richtig? Wäre es weniger respektlos, dass jemand so mit Dir umgeht? Deine Wünsche so ignoriert?
Ein Recht auf respektvollen Umgang – auch beim Essen
Leider erleben Kinder aber genau solche Situationen, in denen ihr eigener Wille, ihre Vorlieben und ihr Sättigungsgefühl derart missachtet werden. So kann das Thema Essen für sie dann eng mit Druck, Zwang oder Regeln verknüpft werden. Die dadurch entstehenden Probleme belasten nicht nur die ersten Jahre mit festem Essen, sondern können sich langfristig auf die Gesundheit und das Essverhalten auswirken. Dabei ist es so wichtig, dass Kinder in den ersten Lebensjahren einen gesunden, natürlichen Umgang mit Nahrung erlernen dürfen. Dass sie Essen als das wahrnehmen dürfen, was es ist: Lebenswichtig, selbstbestimmt, positiv. Und eigentlich auch gar nicht so schwierig.
Essen hat etwas mit Respekt zu tun
Auf Zwang folgt bei Kindern langfristig Trotz. Egal, ob es „doch nur gut gemeint“ war und man als Elternteil der Meinung ist, dass es nur so geht. Denn Zwang zieht nach sich, dass natürliche Grenzen missachtet und wichtige Bedürfnisse des Kindes nicht respektiert werden – oder dass ein Kind schlicht überfordert ist mit dem, was von ihm verlangt wird. Dagegen wehrt ein Kind, auch ein ganz kleines, sich instinktiv. Wenn diesem Trotz und dem Protest lange genug mit Strenge und weiterer Missachtung begegnet wird, resignieren viele Kinder. Das heißt nicht, dass die Bedürfnisse plötzlich weg sind! Das heißt lediglich, dass das Kind gelernt hat, sie nicht mehr zu äußern.
Ein Kind hat ein natürliches Sättigungsgefühl und dadurch ein Recht darauf, selbst zu bestimmen, wann es satt ist. Wenn wir es zwingen wollen, den Teller leer zu essen oder noch ein paar Löffelchen Brei zu sich zu nehmen, geben wir ganz klar zu verstehen: Ich habe keinen Respekt von deinem Gefühl „Ich bin satt“. Auch ein „Das schmeckt mir nicht“ oder „Nicht so schnell“ akzeptiere ich nicht. Deine Bedürfnisse im Bezug auf Essen sind mir nicht wichtig. Hör auf, sie mitzuteilen.
Dabei missachten Eltern die Signale ihres Kindes selten mit Absicht oder aus bösem Willen. Dahinter steckt oft Angst. Die Angst, dass ihre Kinder zu wenig essen. Oder zu ungesund. Oder falsche Angewohnheiten erlernen. Deshalb bauen sie diesen Druck auf, der das Kind von einem gesunden Essverhalten abhält, anstatt es zu fördern.
Essen hat nichts mit Erziehung zu tun!
Vielleicht haben manche Eltern auch Angst vor einem Verlust ihrer Autorität, wenn sie beim Essen nicht den Ton angeben. Dabei geht es beim Essen nicht um Macht oder Durchsetzung. Nicht um Prinzipien oder Erziehung. Diese Ansichten sind nicht zeitgemäß und haben keinerlei pädagogische Grundlage. Jedes Kind, wenn man es lässt, wenn man es nicht zwingt, isst genug. Ich habe noch von keinem Kind gehört, das mit einer Essstörung zur Welt gekommen ist. Und noch von keiner kindlichen Essstörung, die durch Druck, Zwang oder andere missachtende Maßnahmen behoben worden wäre. Wenn ein Kind echte Probleme mit dem Essen hat, dann hat das immer einen Grund. Die einzige Art, diesem Grund zu begegnen sind umso mehr Verständnis, Ruhe und Respekt. Alle Maßnahmen, die sich direkt auf die Nahrungsaufnahme beziehen, werden den Zustand nur noch verschlimmern.
Selbstbestimmtes Essen
Wer einmal in einem Teufelskreis aus Aufmerksamkeit, Zwang und Verweigerung bezüglich Essen gefangen ist, findet da schwer wieder zu einem gesunden Umgang. Daher ist es das Beste und Einfachste, damit von Anfang an zu beginnen. Schon mit der Muttermilch bzw. Flasche. Beides muss man nicht nach der Uhr und nach von außen vorgegebenen Mengen füttern, sondern dann, wenn es benötigt wird. Ein hungriges Baby erkennt jede Mutter schnell. Ein sattes wird einfach aufhören, zu trinken. Natürlich kann man die Flasche wieder und wieder in den Mund führen, weil noch ein kleiner Rest drin ist – doch da fängt die Missachtung eines Kindes genau genommen schon an.
Spätestens mit Einführung der Beikost erfordert es ein wenig mehr Geduld und Feingefühl, ein Baby selbstbestimmt essen zu lassen. Die beste Variante hierfür ist sicherlich Baby Led Weaning, die breifreie Einführung der Beikost. Aber auch, wenn Du Dein Kind mit Brei füttern möchtest, kannst Du die natürlichen Hunger- und Sättigungsgefühle Deines Kindes über die Berechnung von Grammzahlen und verschwendete Breireste stellen. Kinder können schnell lernen, dass ein geöffneter Mund zu einem weiteren Löffelchen Brei führt. Wenn der Mund also zu ist, ist es noch nicht oder nicht mehr bereit für Nachschub. Ganz einfach.
Vom Baby zum Kleinkind – jedes Kind kann Essen lernen?
Bitte vergiss nicht, dass auch Tischregeln und andere Einmischung von außen während des Essens Druck aufbauen. Wenn ein Kind für jeden Bissen gelobt wird oder zum Probieren überredet werden soll, lernt es schnell, Essen als Mittel zu verwenden, um Aufmerksamkeit zu erhalten. „Wenn ich mich weigere, meinen Brokkoli zu essen, stehe ich im Mittelpunkt und Mama wird so lange betteln, bis ich es tue.“ Ein gesunder Mensch isst nicht aus irgendwelchen von außen motivierten Gründen, sondern weil er Hunger hat und Spaß am Essen.
Psychologisch wird das Essen auf diese Weise losgelöst von den natürlichen Innenreizen Hunger bzw. Sättigung – die natürliche Regulation wird gestört und Essen ein Mittel zum Zweck.
Der eine oder andere wird sich jetzt fragen, ob wir auf diese Weise nicht ein Kind ohne Manieren heranziehen, das am Tisch tun und lassen kann, was es will. Wer schon einmal ein Kleinkind beobachtet hat, das sich mit einem Löffel abmüht, ohne dass es jemand dazu aufgefordert hat, dem leuchtet schnell ein, dass dem eben nicht so ist. Solange wir als Erwachsene Tischmanieren vorleben, werden unsere Kinder sich früher oder später danach richten.
Allerdings ist das vielleicht später, als wir erwarten würden. Denn tatsächlich können Kinder frühestens mit 18 Monaten einen Löffel richtig benutzen. Erst mit etwa 3 Jahren sind sie dann bereit, ausschließlich mit Besteck zu essen. Und echte Tischregeln wie „gerade sitzen“ können sie erst ab etwa 3-4 Jahren befolgen. Wer seine Kinder vorher dazu „trainieren“ will, muss einiges an Widerstand und Stress am Essenstisch in Kauf nehmen. Denn selbst wenn Kinder gewillt sind, sich an gewisse Regeln zu halten – sie vergessen sie ganz einfach wieder. Einfache Rituale wie „Hände waschen vor dem Essen“ oder „Warten, bis alle am Tisch sind“ können Kinder dagegen schon viel früher verstehen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Benimmregeln, sondern um feste Rituale, die den Alltag strukturieren und die Kinder sichtlich genießen. Hier gibt es auch keinen Grund, zu mahnen oder zu schimpfen – ein einfaches Erinnern reicht. Diese Verhaltensweisen richten sich außerdem meist an Vorgänge vor oder nach dem Essen.
Lest mehr von Hanna:
Vielen Dank, liebe Hanna, für deinen Besuch und, dass du mir einen so tollen Artikel da gelassen hast.
Wie sieht euer Familientisch aus? Wie läuft das gemeinsame Essen ab? Worauf legt ihr Wert?
Ist Baby Led Weaning für euch die Lösung? Wie reagieren eure Babies? Und was stellt ihr bei euren größeren Kindern für Lerneffekte fest?
Ich freue mich schon auf eure Geschichten 🙂
8 Antworten
Ganz toller Beitrag und Hannas Seite schau ich mir direkt heute Abend an. Eine kleine Anmerkung hab ich allerdings… wir praktizieren BLW und ich stimme in jedem Punkt zu außer dass Kinder erst mit 18 Monaten einen Löffel richtig händeln können. Unser Sohn isst seit er 10 Monate ist erfolgreich alleine mit seinem Löffel und er wurde nie dazu aufgefordert gedrängt oder ähnliches. .. er lag einfach immer stumm neben seinem Teller?
Oh wie toll – ich möchte diesen Artikel auch gerne auf meinem Blog veröffentlichen (www.vegane-famillien.de) – kann ich das machen? Also mit Hinweis auf „… dieser Artikel ist ursprünglich erschienen auf http://www.oeko...“? Und Gastartikel etc.?
Huhu liebe Carmen,
kannst du Reposten? Damit kann das gehen. Ansonsten wäre es duplicate content und ungünstig, aber ich freue mich riesig, wenn du es über dein FB-Seite teilst 🙂 Und: schreib doch Hanna mal direkt an. Ich bin mir ganz sicher, dass sie sich freut, wenn sie auch bei dir einen Gastartikel lassen darf.
Liebe Grüße <3
Kathrin
Schöner Beitrag, ich finde es sehr wichtig, Kindern nicht die Fähigkeit zu nehmen, das Sättigungsgefühl selbst einschätzen zu können. Zwang im Kleinkindalter führt später auch oft zu Essstörungen verschiedenster Ausprägung. Die meisten Mütter vertrauen ja auch ihren Babys beim Stillen, dass sie so viel trinken, wie sie brauchen. Erst dann, wenn wir „sehen“, was die Kinder zu sich nehmen, fängt die Fremdkontrolle an. Regeln am Tisch sind aber definitiv wichtig und auch schon für die Kleinsten verständlich, aufessen gehört jedoch definitiv nicht dazu. Bei uns gibt es aber noch folgende Vereinbarung: Es sollte alles gekostet werden, im schlimmsten Fall darf es wieder ausgespuckt werden. Gezwungen wird aber keiner dazu, das machen die Kleinen von ganz allein, da es auch für die Erwachsenen gilt. Wir selbst essen ja auch nicht alles und ich weiß noch, dass ich als Kind Schwarzbrot, vor allem älteres, gehasst habe. Daher gibt es bei uns auch manchmal einfach nur Belag. 🙂 Der Weg zum entspannten Familienessen brauchte bei uns aber auch ein paar Tage. Doch seitdem wir unseren Kindern vertrauen, läuft es viel harmonischer.
Liebe Bine,
das ist ein ganz wichtiger Punkt: Vertrauen! Darauf baut eben einfach alles auf. Und wenn wir vertrauen, erfahren wir auch ganz schnell, dass unsere Kinder das eigentlich ganz gut alleine hinbekommen 🙂
Danke für deinen Kommentar!
Liebe Grüße,
Kathrin
super spannender beitrag, da stimme ich hanna in ganz vielen punkten zu. danke dafür!
Toller Artikel. Beim Kinderarzt sind wir schon für fehlende feste Essenzeiten und wechselnde Mengen kritisiert worden und das mit 6 Monaten. Es ist auch schön das Ernährung mit der Flasche nicht abgewertet wird. Manchmal ist das eben der richtige Weg und es ist traurig wenn das bei jeder Gelegenheit abgewertet wird.
Toller Artikel, gefällt mir gut. Ich habe diesen auf FB geteilt und manche Likes dazu bekommen.
Weiter so!